Fronleichnam: Fest und Prozession im Wandel der Zeit

„… wie ein leuchtender Stern über der Finsternis und den Wirren unserer Zeit“ (1920)

Das Fest Fronleichnam vermittelt eine zweifache Botschaft: Zum einen stellt es für den überzeugten Katholiken die Feier der Gegenwart Christi im Sakrament der Eucharistie dar, zum anderen findet in der Teilnahme der Menschen an der Prozession ein Bekenntnis des Glaubens und Christseins in der Öffentlichkeit statt, auch gegenüber Andersgläubigen und nichtgläubigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Gerade der zweite Aspekt, das sich Zeigen in der Öffentlichkeit, wird in den Auszügen aus unseren Gemeindechroniken hervorgehoben. Es ist bemerkenswert, welcher Stellenwert dem Fronleichnamsfest und der Prozession zugemessen wird. Oder, wie Dr. Rainer Zeyen es in der Pfarrchronik von 2012 formuliert (1): „Besonders in der Fronleichnamsprozession bezeugt die christliche Gemeinde ihr Bekenntnis vor der Umwelt. Es lassen sich aus der Gestaltung des Fronleichnamstages Rückschlüsse auf die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse ziehen.“

Fronleichnam 1920, im zweiten Jahr nach dem Ende des 1. Weltkriegs

In der ersten Gemeindechronik St. Johannes von 1921 schreibt Dechant Schrepping (2), selbst ein Sohn der Gemeinde:

„Aus der jüngsten Zeit sei eines Ereignisses gedacht, das wie ein leuchtender Stern über der Finsternis und den Wirren unserer Zeit schwebt. In einer Welt, krank an Unglauben und Zweifelsucht, feierte in der St. Johannesgemeinde das Geheimnis unseres Glaubens seine höchsten Triumphe. Seit dem Jahre 1920 entfaltet die Fronleichnamsprozession eine Pracht und einen Glanz wie nie zuvor. Nachdem die hemmenden Schranken durch die neue Verfassung (3) gefallen, konnte man dem Triumphzuge ganz neue Wege anweisen. Die Prozession bewegte sich von der Kirche die Querenburger Straße (4) entlang bis zum väterlichen Hause in Querenburg (5) von da die Markstraße hinauf bis zur Seierschen (6) Wirtschaft, an der Borgholzer Schule und dem Schwesternhaus (7) vorbei zur Kirche zurück. Wohl selten waren die Herzen so begeistert und in Liebe erglüht, als an jenem unvergesslichen vorjährigen Fronleichnamsfeste.“

Aus heutiger Sicht (2024), mehr als hundert Jahre später, kann man nur staunen: Deutschland war besiegt, litt unter dem Trauma der unsäglichen Opfer des ersten Krieges, der mit moderner, industriell gefertigter Kriegstechnologie geführt wurde, hatte kapitulieren müssen, war zu Reparationsleistungen gezwungen, musste sich mit sog. Dolchstoßlegenden auseinandersetzen, und Schrepping spricht angesichts der ersten Prozession nach diesem Krieg geradezu euphorisierend von einem „Triumphzug“, einem Ereignis, das wie „ein leuchtender Stern über der Finsternis und den Wirren unserer Zeit schwebt.“– Wieviel muss dieses Fest und die Prozession den Menschen damals bedeutet haben?! Welche Strahlkraft hat es besessen in einer Zeit, als die Zukunftsaussichten unsicher, düster, beängstigend waren. Deutschland litt unter der Demütigung der Niederlage, und Schrepping spricht davon, dass „in der St. Johannesgemeinde das Geheimnis unseres Glaubens seine höchsten Triumphe (feierte)“. Was für ein Kontrast! Natürlich: Es handelt sich um zwei verschiedene Sphären: Die Sphäre der Politik und die Sphäre des Glaubens. Dennoch trennt Schrepping nicht scharf zwischen den Sphären. Er stellt das Fest auch in den Kontext der Situation der Zeit.

Frage: Wie wäre es, wenn wir Fronleichnam heute, wo die Kirche in Deutschland von allgemeiner Mutlosigkeit, Lethargie, ja Resignation gezeichnet ist (Schrepping spricht von „Zweifelsucht“) immer wieder anstecken ließen von der damaligen trotzigen Haltung der Zuversicht?

Fronleichnam unter dem Nazi-Regine 1937

Nachdem die Pfarrchronik (8) die Not der Menschen in der Zeit der Weltwirtschaftskrise anspricht (1931) und über Maßnahmen in und aus der Gemeinde berichtet, um Menschen in Not zu helfen, vor allem durch Lebensmittelhilfe und Mahlzeiten, kommt sie auf den immer enger werdenden Spielraum der Kirchen unter dem Naziregime zu sprechen:

„Schon im Jahre der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten waren die Nadelstiche gegen die Kirche auch in den einzelnen Gemeinden spürbar. Zwar konnte der HI. Stuhl durch den Abschluss des Reichskonkordates im Juli des Jahres 1933 der kath. Kirche noch einen gewissen Freiraum gegen den Machtanspruch der Nationalsozialisten sichern. Es blieb aber vor allem die Stellung der kirchlichen Jugendvereine zur Hitlerjugend ungeklärt, so dass das außerkirchliche öffentliche Auftreten der kath. Jugend fast gänzlich lahmgelegt wurde. Schon kurz nach der sogenannten "nationalen Erhebung" (9) am 31. Januar 1933 schrieb Pastor Spielmann in der Pfarrchronik: "Manche Geistliche, die sich mit den neuen Verhältnissen nicht abfinden konnten und irgendwelche (manchmal auch unvorsichtige) Äußerungen über die Regierung oder staatliche Anordnungen machten, wurden zu längeren Freiheitsstrafen verurteilt". Damit war ganz deutlich der politische Rahmen gesetzt, in dem sich auch die St. Johannes-Gemeinde in den nächsten Jahren bewegen durfte.“

Es wird nun über verschiedene konkrete Beispiele für die sog. Nadelstiche des Naziregimes berichtet, also über Versuche, das kirchliche Leben immer mehr einzugrenzen, und über die Reaktionen der Gemeinde, und schließlich spricht die Chronik über Fronleichnam im Jahr 1937:

„Den Fronleichnamsprozessionen ist in dieser Zeit als Maßstab für die Standhaftigkeit der Gemeinde gegenüber den politischen Verhältnissen besondere Bedeutung zuzumessen. In der besonders guten Beteiligung an der Fronleichnamsprozession des Jahres 1937 sah Pastor Spielmann eine mögliche Antwort der Gemeinde auf die kurz zuvor gehaltene berüchtigte Göbbelsrede, in der der Propagandaminister die kath. Kleriker schwer beschimpft hatte. Schon ein Jahr später verschärfte das Nazi-Regime die Auseinandersetzung: Der

Prozessionsweg wurde behördlicherseits verkürzt (Kirche - Brenscheder Str.- Stiepeler Straße - Schreppingshof und zurück), die Straßen, die einzelnen Altäre und auch die Häuser durften nicht mit kirchlichen Fahnen geschmückt werden, ja nicht einmal auf dem Kirchplatz, sondern nur an der Kirche und am Pfarrhaus durften Kirchen-Fahnen aufgezogen werden. Die Gemeindemitglieder gaben eine eindeutige Antwort ihres Bekenntnisses: Die Teilnahme war noch stärker als in den früheren Jahren. Die genannten Beschränkungen galten bis 1940. Dann wurde die Prozession - angeblich wegen der Fliegergefahr - ganz verboten. Ab 1941 durfte auf staatl. Anordnung hin am Fronleichnamstag nur noch ein Werktagsgottesdienst gehalten werden.“

Ganz schön mutig, unsere Vorfahren: Statt sich einschüchtern zu lassen, machen sich mehr Menschen auf den Weg, zeigen sich, zeigen ihren Glauben. Eins ist gewiss: Die Gestapo wird gut zugeschaut haben.

Fronleichnam 1945 nach dem Ende des 2. Weltkriegs

Und schon wieder muss Deutschland, muss auch die Kirche in Deutschland eine Niederlage im Krieg, in diesem Falle historisch zweifelsfrei selbstverschuldet und schuldbeladen, verkraften, muss sich aus realen und moralischen Trümmern an den Wiederaufbau des Landes begeben. Die Chronik schreibt (10):

„Doch dann ging der Krieg seinem Ende entgegen. Am 10. April 1945 rückten Amerikaner von Herne kommend fast kampflos in Bochum ein. Am Morgen des 11. April wurde auch der Stadtteil Wiemelhausen besetzt. Es waren erneut schwere und gefahrvolle Tage für die Bevölkerung, denn neben Strom- und Wasserausfall kam es zu Plünderungen durch zuvor internierte ausländische Zwangsarbeiter.

Fronleichnamsfest 1945: Zum ersten Mal nach längeren Jahren konnte die Prozession in alt-hergebrachter Weise ziehen. "Sie war ein feierliches und großartiges Bekenntnis zu Christus, unserem Heiland im Sakramente des Altares. Die Beteiligung der Pfarrangehörigen war überaus groß, wie wohl noch nie zuvor." - Dieser Eintrag in der Pfarrchronik kann angesichts des heutigen "leisen Auszugs aus der Kirche" schon sehr nachdenklich stimmen“. Interessant: Schon damals sprechen die Chronisten von einem „leisen Auszug der Kirche.“ Hätten sie ahnen können, welches sich beschleunigende Tempo und Ausmaß dieser Exodus annehmen würde?

Das nachvatikanische Fronleichnam

Mit dem 2. Vatikanischen Konzil hatte der charismatische Papst Johannes den Versuch unternommen, darauf zu reagieren. Der vom Papst gewählte Begriff des Aggiornamento (Anpassung an die heutigen Verhältnisse, zeitgemäß gestalten, modernisieren) kennzeichnet sein Bemühen, die Kirche an die moderne Welt anzupassen, sie mit ihr in Einklang zu bringen. Es blieb nicht folgenlos für die Gestaltung von Fronleichnam:

„Auch wenn der Kirchenumbau Thema Nr. 1 in der Gemeinde war, wie Pastor Neveling es in der Pfarrchronik festhielt, so sind doch auch andere Entscheidungen und Entwicklungen für die Zukunft der Gemeinde von großer Bedeutung gewesen. Ab 1965 wurde das Fronleichnamsfest in einer veränderten Form gefeiert. In der Art und Weise, Fronleichnam zu begehen, spiegelt sich viel vom Selbstverständnis der Gemeinde. Das 2. Vatikanische Konzil hatte den Gedanken ‚Kirche - das pilgernde Gottesvolk‘ neu belebt. So versuchte man auch in der St. Johannes-Pfarrei, die Fronleichnamsprozession weniger als einen Triumphzug zu gestalten, als sichtbar zu vermitteln: Wir Christen sind unterwegs. Dieser Gedanke prägte die Gestaltung der zukünftigen Fronleichnamstage: Die Gemeinde zieht zu einem Platz, um dort Eucharistie zu feiern. Dann wird der Leib Christi feierlich zur Kirche zurückbegleitet. Seit 1985 wird am St. Johannes-Stift wieder Station gemacht, um hier vor allem den Alten und Kranken den eucharistischen Segen zu spenden.“ (11)

Man kann zwischen den Zeilen nicht nur von der theologischen Neuausrichtung erfahren, sondern auch von einer gewissen Selbstbescheidung der Kirche. Der Gedanke an einen Triumphzug liegt den Menschen der 60er-Jahre fern. Die Besinnung auf den sakramentalen Kern des Festes steht im Vordergrund.

Und heute?

Nach dem Zusammenschluss der Gemeinden St. Johannes und St. Albertus Magnus und der Bildung der Seelsorgeregion St. Johannes und St. Paulus (einschließlich der Gemeinde St. Martin) wurden verschiedentlich neue Prozessionswege probiert, auch mit dem Ziel, die Wege sichtbar zu machen, die die Menschen angesichts der Herausforderungen des heutigen Pfarrentwicklungsprozesses gehen müssen.

Wie könnten wir Fronleichnam heute verstehen? Triumphzug? – Das sicher nicht. Aber ein unverkrampftes Selbstbewusstsein, unseren Glauben nach draußen zu tragen, zu ihm zu stehen: Das wäre sicher ein gangbarer Weg!

Hans-Georg Steden

[1] Dr. Rainer Zeyen, Chronik der Pfarrgemeinde St Johannes Bochum-Wiemelhausen, 1887 – 2012,

[2] Dechant Schrepping: Geschichte der katholischen St.Johannes-Pfarrgemeinde in Bochum (Wiemelhausen), Märkische Vereinsdruckerei 1921, S. 35 f

[3] Gemeint ist die Weimarer Reichsverfassung, die am 31. Juli 1919 in Weimar beschlossene, am 11. August unterzeichnet und am 14. August 1919 verkündete erste demokratische Verfassung Deutschlands.

[4] heute in etwa Universitätsstraße

[5] Bauernhof Schrepping, heute das Gelände zwischen Erich-Kästner-Gesamtschule und Stiepeler Straße

[6] heute Ecke Brenscheder Straße, Markstraße und Wiemelhauser Straße

[7] heute St. Johannes-Stift

[8] Pastor Bernhard Deus, Christel und Heinrich Hanefeld, Rolf Quinkert, Heribert Bette, Heinrich Herker, Matthias Schubert: St. Johannes Bochum-Wiemelhausen 1887 – 1987. Bochum 1987, S. 25 f

[9] Heute sprechen wir eher von der „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus

[10] Pastor Bernhard Deus u.a., ebd., S. 27 f

[11] Pastor Bernhard Deus u.a., ebd., S. 32

 

Bildrechte | Johannes-Georg Steden

Im Folgenden einige Bilder von der Prozession im Jahre 2010. Bildrechte Johannes-Georg Steden

Station an der Seniorenwohnanlage an der Glücksburger Straße

Pfarrer Willi Kumpf und Pfarrer Strephan Ochmann

Ecke Melschedeweg / Baumhofstraße

Ecke Melschedeweg / Baumhofstraße

Ökumenische Station am Baumhofzentrum

Schlussstation der Prozession vor dem Pfarrhaus

Schlussstation der Prozession vor dem Pfarrhaus