Die Statuen von Gottesmutter und Johannes
Es sungen drei Engel einen süßen Gesang,
Daß es in dem hohen Himmel klang.
Sie sungen: "Ave Jungfrau rein,
Du sollt des Himmels Königin sein.
Dir ist bereit ein herrlich Thron
Mitten im Himmel bei deinem Sohn.
Ein königliche güldne Kron
Gibt die Dreifaltigkeit zum Lohn.
Alle Völker sprechen selig dich
Auf Erd im Himmel ewiglich!"
Mainzer Cantual, 1605
Der dritte Bericht über Ausstattungen in und an unserer Kirche beginnt mit Versen eines Marienliedes aus der Zeit, als unsere Madonna geschaffen wurde. Dichtung, Liedkunst, Architektur, Malerei und Bildhauerei bildeten derzeit eine Einheit, befruchteten sich gegenseitig in ihren jeweiligen gestalterischen Aussagen. So haben Maler und Bildhauer Verse der Dichtkunst in ihre bildnerische Sprache umgesetzt und umgekehrt.
Als unser Bischof nach zweijähriger Bauzeit der Erweiterung und des Umbaus unserer Kirche im Dezember 1971 die Konsekration unseres neuen Altars und damit die Wiedereinweihung des Gotteshauses vornahm, war unsere Kirche noch kahl, rund um die Kirche Baustelle. Noch fehlten Taufbecken, Gabenbereitungstisch, Weihwasserbecken, Apostelleuchter, Ewiges Licht, Osterleuchter, Sedilien, Weihnachtskrippe, Kreuzweg, Marien- und Gedächtniskapelle, eine Plastik unseres Pfarrpatrons, der Kirchplatz und die Zuwegung vom Rüsenacker, vor allem aber fehlte eine Marienstatue zur Verehrung der Mutter Gottes an den Marienfesten des Jahreskreises und in den Mai- und Rosenkranzandachten.
Auf der gutbesuchten Pfarrversammlung kurz nach der Wiedereinweihung im Januar 1972 sagte ein Mitglied der Gemeinde: "Lasst uns bitte weitersammeln und aus unserer Kirche wieder eine katholische Kirche machen!" Und so geschah es; die Opferfreudigkeit ließ nicht nach, obwohl bereits mehr als 50% der Baukosten an Eigenkapital aufgebracht worden waren, ein einmaliger Vorgang im Bistum Essen, wie es Diözesanbaumeister Kleffner nannte. Für die weitere Ausgestaltung der Kirche konnten bis auf wenige Ausnahmen keine weiteren Zuschüsse aus Kirchensteuermitteln des Bistums erwartet werden. Mit der Opferfreudigkeit für das eigene Haus wuchs auch gleichzeitig die Motivation für die Aufgaben der Weltkirche bei den Kollekten Adveniat, Misereor, der Caritas und der Weltmission.
Im März 1975 besuchte unser Bischof, Dr. Franz Hengsbach, gemeinsam mit dem Leiter der Kunstkommission im Bistum Essen, Prof. Dr. Leonhard Küppers, in Köln die 6. Westdeutsche Kunstmesse, auf der mehr als 120 Aussteller aus dem europäischen Raum antike Möbel, Plastiken aus mehreren Jahrhunderten, Gemälde und Graphiken anboten. Das renommierte, bereits 1887 gegründete Kunsthaus Ehrhardt aus München, spezialisiert auf Plastiken und antike Möbel, bot unter anderem "unsere" Madonna zum Preis von 38.000,- DM an. Der vergleichsweise im Kunsthandel günstige Preis war allerdings mit der Option des privaten Vorbesitzers verbunden, die Madonna wiederum einem Kirchenraum zuzuführen. Unser Bischof war beeindruckt von dieser lebensgroßen frühbarocken Plastik, er beauftragte Herrn Küppers, sie in sein an wertvollen Kunstschätzen nicht reich gesegnetes Bistum zu holen. Dem Kunsthändler Ehrhardt wurde dieser Wunsch gleich auf der Messe mitgeteilt.
Prof. Küppers wusste, dass unsere Gemeinde dringend eine Mutter-Gottes-Statue in Lebensgröße für den vom Architekten Dr. Günther vorgesehenen Standort an der südöstlichen Seitenwand des Querschiffes in direkter Nachbarschaft zur Altarinsel suchte. Mit Anschreiben überreichte Küppers der Gemeinde ein Photo der Madonna mit dem Hinweis, er habe die Plastik bereits auch einer anderen Kirchengemeinde und einem Kloster angeboten; er bäte um Rückäußerung, ob sich unsere Gemeinde eventuell zu einem Kauf entschließen könne.
Der Kirchenvorstand machte sich die Entscheidung nicht leicht, bezog den Pfarrgemeinderat und die Frauengemeinschaft, die bereits durch verschiedene Sammelaktionen für eine Mutter Gottes eine Menge Geld zusammengebracht hatte, mit ein, um zu einer Entscheidung zu kommen. Überlegungen wurden angestellt, ob es ratsam sei, eine Plastik des Frühbarock aus einem südlicheren Kulturraum in unsere Gegend nach Norden zu holen, in der barockes Denken und Bauen kaum stattfand, zu sehr waren die Menschen in unserer Region noch mit den Auswirkungen der Reformation und vor allem mit denen des Dreißigjährigen Krieges befasst. Weiterhin wurde bei aller Spendenfreudigkeit der Gemeinde diskutiert, ob es verantwortbar sei, eine solch teure Plastik zu kaufen - vor 25 Jahren war der Kaufpreis anders zu bewerten - zumal noch mit Zusatzkosten für Transport, Transportversicherung, Postament, örtliche Sicherheitsvorkehrungen gegen Diebstahl, Standleuchter und Standvase für Blumenschmuck zu rechnen sei. Dazu kam die Sorge, ob es gelingen könne, zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite Plastik für die südwestliche Seitenwand des Querschiffes, die des Heiligen Johannes des Täufers, etwa aus gleicher Entstehungszeit und in gleicher Größe zu finden. Am Schluss aller Überlegungen bestand aufgrund der überzeugenden Photographie allseits der Wille, "das ist unsere Madonna, das soll die Gottesmutter unserer Gemeinde werden"!
Der Kirchenvorstand fasste einen entsprechenden Beschluss, Kaufverhandlungen mit dem Kunsthaus Ehrhardt aufzunehmen, vorbehaltlich einer örtlichen Besichtigung der Madonna in München.
Der Verfasser des Berichtes, der mit seiner Familie für Juli 1975 in Tegernsee einen Urlaub gebucht hatte, wurde vom KV beauftragt, in München die Madonna in Augenschein zu nehmen, mit dem Kunsthändler über einen Preisnachlass, die noch zu restaurierenden Teile, den Transport und eine eventuelle Transportversicherung zu verhandeln. Das geschah, unter anderem konnte ein Preisnachlass in Höhe von 4000,- DM vereinbart werden. Nach einem schriftlichen Bericht an die Heimatgemeinde und einem späteren Telefonat an Herrn Pastor Neveling wurde beim zweiten Besuch in München der Kauf getätigt.
Der Verfasser selbst kaufte darüber hinaus für seine Wohnung einen antiken Schrank aus der Zeit der Renaissance. Dieser Schrank diente der Madonna als "Transportkiste", den Transport übernahm als gelegentliche Beiladung kostenlos ein befreundetes Bochumer Transportunternehmen; so traten keine Sonderkosten auf. Die Ladung in geschlossener "Kiste" erreichte Wiemelhausen Ende September in den frühen Morgenstunden. So blieb über Wochen unbekannt, dass sich die Madonna an sicherer Stelle im Hause des Verfassers befand, natürlich in Übereinstimmung mit Herrn Pastor Neveling. Am 8. Dezember, dem Fest Maria Empfängnis, sollte in einer besonderen Feierstunde die wertvolle Statue der Gemeinde vorgestellt und eingeweiht werden.
Noch aber fehlte das Postament, das gemeinsam mit der Firma Imberg Bochum - der Bildhauer Espeter war unauffindbar verschollen - in Anröchter Dolomit unter Verwendung der am Altar verwendeten Winkel und in gespitzter Oberflächenbearbeitung geplant und erstellt wurde.
Am 6.12. fand die Montage einschließlich der Sicherheitsvorrichtungen gegen Diebstahl wie auch die Verankerung des zusätzlich in München gekauften, in Silber getriebenen Barockstandleuchters statt. Am gleichen Tag wurde die bei der Töpferei Christel Humpert, Bochum, in Auftrag gegebene Standvase zur Aufnahme von Blumen- und Pflanzenschmuck geliefert. Die Eucharistiefeier am Fest Maria Empfängnis mit der Vorstellung und Einweihung unserer Madonna war ein Höhepunkt in der Gemeinde, konnte doch die Gottesmutter den ihr gebührenden Platz in der Kirche einnehmen.
Wie schon 1975 erwartet, gestaltete sich der Zukauf der Plastik unseres Pfarrpatrons, des Heiligen Johannes des Täufers, äußerst schwierig. Erst im Februar 1982, also nach mehr als sechs Jahren, konnte das mit der Suche beauftragte Kunsthaus Ehrhardt ein Angebot machen: Eine Johannesstatue aus dem Hochbarock, 120 Jahre jünger als unsere Madonna, entstanden um 1750. Als Kurzbeschreibung sei hier nur ausgeführt, dass Täuferplastiken als Symbole das Lamm und die Täuferfahne haben, als Hinweis auf die erste Begegnung des am Jordan taufenden Johannes mit Christus, mit seinem Ausruf: "Sehet das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt!" Die Johannesstatue stammt aus Österreich, der Bildhauer ist unbekannt, geschnitzt ist sie aus Lindenholz, Johannes nicht im Büßerhemd, sondern mit großer Gestik und goldenem Gewand, dem Hochbarock entsprechend.
Sie ist 1,75 groß, die fehlende Täuferfahne wurde 1982 von dem Kunstmaler Egon Stratmann ergänzt, der auch die farbliche Ausmalung unserer Kirche besorgte.
Zurück zu unserer Madonna. Sie ist um 1630 in der Zeit der Spätrenaissance / des Frühbarock entstanden und soll nach Aussage des Kunsthändlers Konrad Ehrhardt aus der Werkstatt des Bildhauers Hans Patsch, Tirol, stammen. Sie ist ebenfalls aus Lindenholz geschnitzt, 1,73 Meter groß, Zepter, Krone und Gnadenstrahlen am Kopf des Kindes wurden 1975 von den Restaurierungswerkstätten des Kunsthauses Ehrhardt ergänzt.
Kunstgeschichtler ordnen "die Madonna mit Kind auf der Mondsichel stehend" in die Gruppe der "Schönen Madonnen" ein, entsprechend dem damaligen Idealbild mütterlicher Frauen. Sie steht mit beiden Füßen auf der Mondsichel, dem Symbol der Nacht, des Dunklen. Das Gewand ist faltenreich, aber längst nicht so farbig und golden wie im Hochbarock, Zepter und Krone weisen auf die Sonderstellung Mariens als Königin des Himmels hin. Mit der Darstellung ihres Sohnes, der auf ihrem linken Arm thront, will sie wohl sagen: Das ist mein Kind, Jesus Christus, euer Heiland und Erlöser.
Das kleine nackte Jesuskind hält in seiner linken Hand eine kräftig blau gefärbte Kugel, die Weltkugel, unsere Welt. Mit der rechten Hand mit Blick in diese Welt segnet er das All, Flora, Fauna und uns Menschen. Und Maria, die Königin des Himmels, blickt bescheiden, mütterlich und liebevoll auf das Tun ihres Sohnes. Hier wurden die Verse des Eingangslieds der drei Engel in die Bildhauersprache umgesetzt:
"Ave Jungfrau rein, du sollst des Himmels Königin sein / Dir ist bereit ein herrlicher Thron, mitten im Himmel bei deinem Sohn / Eine königliche, goldene Krone gibt die Dreifaltigkeit dir zum Lohne / Alle Völker sprechen selig dich auf Erden und im Himmel ewiglich".
Unsere Gemeinde darf sich glücklich schätzen, angestoßen durch den Wunsch unseres verstorbenen Bischofs auf der Messe in Köln, zwei äußerst wertvollen Kunstschätzen, zwei Barockplastiken, in unserer Kirche eine neue Heimat gegeben zu haben. Nun ist ein Kirchenraum kein Museum, weit wichtiger ist, dass unsere Gemeinde den Heiligen Johannes und die Heilige Maria seit langen Jahren angenommen hat und sie verehrt.
Es ist unser Johannes und es ist unsere Madonna, unsere Gottesmutter!
Rolf Quinkert