Der Kreuzweg in St. Johannes

Der Kreuzweg in unserer Kirche ist nach wie vor in der Gemeinde umstritten, einhelliger Zustimmung stehen kritische Stimmen gegenüber. Ob der Kreuzweg formal höchsten künstlerischen Ansprüchen standhält oder aber eher kunsthandwerklichem Können entspricht, kann offenbleiben. Wichtig allein ist, ob er von der Gemeinde St. Johannes so gewollt und vor allem, ob er angenommen wird. Das Annehmen, die Bereitschaft, den Leidensweg Christi mitzuvollziehen, Kreuzweg zu beten, ist die eigentliche Schwierigkeit bei uns Gottesdienstteilnehmern in der heutigen Zeit. Naturkatastrophen, Kriege, Hunger, Folterungen und Vergewaltigungen, auch Kriege um des Glaubens willen, die uns tagtäglich durch Presse, Funk und Fernsehen ins Haus kommen - alles das ist verbunden mit Leidenswegen unzähliger Menschen - haben uns weitgehend abgestumpft und unfähig gemacht, uns mit dem Leidensweg, dem Kreuzweg unseres Herrn Jesus Christus ernsthaft auseinanderzusetzen.

Ist unser Kreuzweg nun eine Aneinanderreihung von Bildstöcken, gleich ob in vierzehn Einzeltafeln oder aber zusammengefasst als "Weg" gestaltet, den man so oder so zur Kenntnis nimmt und dann vorbeigeht?

Der nachfolgende Beitrag will versuchen, uns den Kreuzweg in unserer Kirche etwas näherzubringen, ihn besser verstehen, ihn eventuell sogar lieben zu lernen durch das Wissen um die Vorgaben der Gemeinde, die Intentionen des Künstlers, die handwerkliche Ausführung als Mosaik und die Aussagekraft der einzelnen Stationen und des Gesamtwerkes.

Die Vorgaben der Gemeinde

Der 1971/72 völlig neu gestaltete und erweiterte Kirchenraum mit den neuen Querschiffen und der Altarinsel im Schnittpunkt des Mittelschiffs und der Querschiffe machte es erforderlich, in der noch kahlen Kirche auch einen neuen Kreuzweg zu schaffen. Die Wiederverwendung des alten Kreuzweges mit den vierzehn Stationen, die dem Charakter von Historienbildern der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts entsprach und als Vielfachproduktion in zahlreichen Kirchen anzutreffen war, wurde verworfen.

Nach lebhaften Diskussionen und Beratungen in den Jahren 1974 bis 1976 wurde beschlossen, im östlichen Seiten- und Querschiff die Stationen im räumlich begrenzten Kirchenraum im Gegensatz zu Kreuzwegen in der freien Natur als ununterbrochenen Weg miteinander zu verbinden, also als Kreuz"Weg" sichtbar zu machen.

Der Künstler

Im Jahre 1976 beauftragte der Kirchenvorstand den Maler und Glasbildner Albert Sögtrop, Krefeld, Entwürfe für einen Kreuzweg zu erarbeiten. Sögtrop war der Kirchengemeinde bereits durch hervorragende künstlerische Arbeiten bekannt. Als erste Arbeit gestaltete er 1968 die Kirchenfenster der Kapelle des St.-Johannes-Stiftes. Es folgten 1971/72 die beiden großen Betonglas-Rasterfenster in den neuen Querschiffen, nach Osten in blauem, nach Westen in rotem Grundton, die bleiverglasten Fenster in den Seitenschiffen und im ehemaligen Chorraum. 1974/75 übernahm er die Gesamtgestaltung der Mutter Gottes- und Gedächtniskapelle mit der von farblich intensiven Mosaiken eingefassten Ikone der Mutter Gottes.

Der Künstler lebte mit seiner Familie bei Krefeld auf dem Lande, "mitten unter Schafen", wie er es nannte, lehrte an der Kunstakademie in Düsseldorf Glas-bildnerei und hat vor allem im Rheinland viele Kirchenfenster und Mosaiken gestaltet. Aber auch in Profanbauten hat er Farbfenster und Mosaiken geschaffen, so zum Beispiel im Foyer der Aral-Hauptverwaltung an der Wittener Straße, in der Eingangshalle des Rathauses in Krefeld und Bodenmosaiken in Wohnhäusern in Stiepel und Wiemelhausen. Albert Sögtrop ist bereits drei Jahre nach Fertigstellung des Kreuzweges im Alter von 53 Jahren durch plötzlichen Herztod verstorben.

Entwürfe und Materialauswahl

Der Künstler legte 1976 mehrere auf Karton gemalte Entwürfe im Maßstab 1:1 vor, außerdem einen Gesamtentwurf für die östlichen Kirchenwände im Maßstab 1:20. Letzterer wurde ein Abschiedsgeschenk an den scheidenden Vikar Schuster.

Die Ausführung war wie in der Mutter Gottes-Kapelle als Mosaik in Naturstein, Glas und Keramik vorgesehen, allerdings farblich wesentlich zurückhaltender, sich dem Kirchenraum unterordnend.

Ausgangsmaterialien waren bei unterschiedlicher Bearbeitung Glas, Keramiken, polierte, geschliffene und matte Natursteinmaterialien verschiedener Herkunft und dunkler, gebrochener Granit, vornehmlich für die Kreuzdarstellungen.

Durch die unterschiedlichen Materialien und Bearbeitungen wollte der Künstler eine reliefartige, lebendige Oberfläche schaffen, die zur nahen Betrachtung und zur Meditation zwingt. Bewusst wurde in der Ausführung auf Fernwirkung verzichtet, um den Kreuzweg im Gesamtkirchenraum nicht überzubetonen.

Die handwerkliche Ausführung

Etwa drei Monate arbeitete Sögtrop an dem Mosaik-Kreuzweg. Während dieser Zeit fuhr eine kleine Gruppe von Gemeindemitgliedern nach Krefeld, um erste Ergebnisse zu sehen.

Das Atelier war eine umgebaute Scheune mit sehr viel natürlichem Oberlicht und zusätzlicher künstlicher Beleuchtung. Auf dem Tennenboden war in etwa vierzig Zentimeter Höhe eine begehbare Arbeitsfläche in Holzkonstruktion gebaut. Auf diesem etwa 5,00 x 2,50 Meter großen Arbeitstisch waren Kopien der Entwürfe M. 1:1 aufgezogen, darüber ein grobmaschiges Jutenetz gespannt, auf das die einzelnen Mosaiksteine geklebt wurden.

Ein Schneide- und Sägetisch mit Diamantwerkzeugen und ein großer Hauklotz mit Werkzeug, das die Schieferdachdecker verwenden, diente zur Bearbeitung der verschiedenartigen Mosaiken. Den Künstler dort arbeiten zu sehen, war für uns Besucher ein spannender Vorgang, wissend, dass die Mosaik-Kunst in Europa fast ausgestorben ist. Nach der Fertigstellung im Atelier wurden etwa ½ qm große Mosaikflächen durch Zerschneiden der Juteunterlage herausgetrennt, transportiert und in die Wandflächen unserer Kirche eingelassen, beigespachtelt und gefugt. Die Montage vor Ort dauerte noch einmal eine Woche.

Der "andere" Kreuzweg

Die lückenlose Aneinanderreihung der vierzehn Stationen mit geringen Abständen scheint oberflächlich betrachtet schwerer verständlich als bei Einzelstationen zu sein, weil ein Höhepunkt (Station) den nächsten Höhepunkt "aufzufressen" scheint. Es war vom Künstler gewollt, den Betrachter, den Beter, die Stationen selbst erkunden zu lassen, um ihn zu intensiverer Auseinandersetzung mit den Einzelstationen zu bewegen.

Als einige wenige Beispiele mit starker Aussagekraft seien hier nur einige Stationen genannt: Jesus fällt unter dem Kreuz, Jesus begegnet seiner Mutter, Veronika und das Schweißtuch, die weinenden Frauen und die Kreuzabnahme. Die Grablegung ist die Schluß-Station des Kreuzweges. Damit endet das Kreuzwegthema.

Der Künstler hat aber unserem Kreuzweg eine fünfzehnte Station zugeordnet, die Auferstehung Christi. Er belässt es also nicht beim Leidensweg, bei Karfreitag, sondern sagt "Christ ist erstanden von der Marter alle".

Kreuzweg St. Johannes

Schlussbetrachtung

Der Leidensweg Christi ist als Leidensgeschichte in den Evangelien eindrucksvoll beschrieben. Zu allen Zeiten haben Bildhauer, Maler, Glasbildner, aber auch Musiker versucht, Kreuzweg, Leidensweg, Passion nachzuzeichnen, sichtbar oder hörbar zu machen, jeder in seiner künstlerischen Sprache.

In unserer Kirche ist er als Mosaik eindrucksvoll gelungen und wird ergänzt durch die fünfzehnte Station mit dem "Halleluja, Christus ist wahrhaft auferstanden".

Der Gemeinde St. Johannes sei gedankt, den Mut zu der Entscheidung für einen anderen Kreuzweg aufgebracht zu haben.

Rolf Quinkert