Die Glocken von St. Johannes …

… und ein Kirchturm waren zunächst gar nicht vorgesehen.

Für den Kirchbau von 1886/87 wurde am 19. Juni 1887 eine kleine Bronzeglocke geweiht, die fortan im Dachreiter auf dem First der Kirche läutete.

Dem Guss der heutigen Glocken geht etwas Bochumer Geschichte voraus. Erst 1847 gelang es dem Stahlfabrikanten Jakob Mayer, Mitbegründer des späteren Bochumer Vereins, Stahl nicht nur zu schmieden, sondern Werkstücke auch im Formenguss herzustellen. So entstand 1851 die erste aus Stahl gegossene Glocke.
Aber erst 1855 schaffte Mayer mit der Präsentation seiner Erfindung auf der Pariser Weltausstellung den Durchbruch: Das neue Verfahren zur Herstellung von Gussstahlglocken wurde mit einer Goldmedaille gewürdigt.
Die weltweit größte Glocke dieser Art wurde 1867 wieder zur Weltausstellung in Paris gegossen und steht heute vor dem Bochumer Rathaus. Bis 1970 verließen allein 18.000 Kirchenglocken aus Gussstahl den Bochumer Verein. Vier davon hängen in der Weltfriedenskirche von Hiroshima.

Für Wiemelhausen fertigte die Glockengießerei des Bochumer Vereins vier Gussstahlglocken:

  • eine 2600 kg schwere und im Durchmesser 1,88 Meter große Glocke mit dem Ton h (b°)
  • eine 1600 kg schwere und im Durchmesser 1,57 Meter große Glocke mit dem Ton cis (des‘)
  • eine 1200 kg schwere und im Durchmesser 1,43 Meter große Glocke mit dem Ton dis (es‘)
  • eine 850 kg schwere und im Durchmesser 1,26 Meter große Glocke mit dem Ton fis (ges‘)

Der Dreifaltigkeit, Johannes, Maria und Joseph gewidmet, wurden sie im November des Jahres 1901 geweiht, mussten aber die ersten drei Jahrzehnte mit einem hölzernen Glockenturm nebenan im Pfarrgarten, an der Stelle des heutigen Küsterhauses Vorlieb nehmen.

Mit Umbau und Erweiterung der Kirche 1930/31 verschwand der Dachreiter, die Bronzeglocke bekam einen Platz im Angelus-Türmchen neben dem Seiteneingang und geriet beinahe in Vergessenheit.
Dafür wurden eine Vorhalle vor dem Haupteingang und ein sich daran anschließender Turm errichtet. In diesen 30 Meter hohen steinernen Turm hielten nun die vier Glocken samt eines neuen Läutewerks Einzug. St. Johannes hatte seinen Kirchturm!
Der Turm und das weithin hörbare, satte dunkle gussstählerne Geläut stifteten fortan die visuelle und akustische Identität mit dem Stadtteil, vor allem mit dem Kirchviertel.
Nur in der Zeit des Nationalsozialismus musste das Läuten der Glocken zeitweilig erheblich eingeschränkt werden.

1967/68 wurden als Spätfolgen der Kriegseinwirkungen die Außenmauern am Turm neu abgedichtet, Wasserschäden beseitigt sowie die Glockenstube, das Geläut und die Schallluken restauriert. Der Turm bekam einen kupferbeschlagenen Helm.
Auf die Spitze trieb man es zum 100-jährigen Kirchweihfest: Am 22. Juni 1987 wurde der Turmschmuck aus Kugel, Doppelkreuz und Hahn aufgepflanzt (siehe Turmschmuck).

Zu Beginn des Jahres 2017 verstummten die Glocken plötzlich, Absperrgitter am Fuße des Turms verkündete Unheil. Mörtel hatte sich aus dem Mauerwerk gelöst und war herabgefallen. Aus Sicherheitsgründen wurden zwei Turmecken mit einem Stützkorsett versehen, die ein weiteres Abbröckeln und Herunterfallen verhindern sollten.
Es folgten umfangreiche, langwierige statische und geologische Untersuchungen sowie Schwingungsmessungen und Berechnungen. Schäden an Stahlträgern und Mauerwerk waren erheblich und es dauerte, bis nach Auswertung aller Gutachten feststand, wie dringend sanierungsbedürftig der Turm war: Eingedrungene Feuchtigkeit hatte die Profile im Mauerwerk korrodieren lassen und ihr Volumen vergrößert. Der Druck schob Fugenmaterial und Steine nach außen. Insgesamt waren die Fugen witterungsbedingt marode und somit kein Schutz mehr gegen eindringende Feuchtigkeit. Auch das Gemäuer wies Risse auf. Die Gefahr, dass sich weitere Mauerteile und Fugenmörtel lösen würden, war groß, die Statik des Turms nicht mehr gegeben, die vom Geläut ausgehenden Schwingungen gefährlich.

Es blieb also still im Kirchviertel. Nur die kleine Bronzeglocke wurde zeitweilig zu neuem Leben erweckt. So hat sie zum Beispiel die Kommunionkinder auf dem Weg zu ihrem großen Tag und eine Silberhochzeit begleitet – leise zwar, aber bereit auszuhelfen.

Am 11. Dezember 2018 dann hatte sich der neu konstituierte Kirchenvorstand in seiner ersten Sitzung mit dem Kirchturm von St. Johannes befasst, sodass die Gemeinde im Gottesdienst am 16. Dezember von Pfarrer Köster erfuhr: „Die Schäden an Stahlträgern und Mauerwerk sind erheblich…“ Es steht nun fest, „was zu einer Sanierung erforderlich ist. Die Kostenschätzung beläuft sich auf ca. 420.000 Euro – eine Summe, die die Pfarrei naturgemäß nicht einfach und „mal eben“ aufbringen kann.“
Zum großen Glück für die Kirche und das Viertel stellte sich aber ebenfalls heraus, „dass auch ein alternativ erwogener Abriss des Turms für die Pfarrei erhebliche Kosten verursachen würde. Daher hat sich der Kirchenvorstand grundsätzlich für die Sanierung des Turms ausgesprochen.“ - Ein tiefes Aufatmen ging durch die Gemeinde.

Sanierung bedeutete nun, die Mauerschale Stück für Stück zu öffnen, das marode Metall auszubauen, dann korrosionssichere Verstrebungen, die die Kräfte der schwingenden Glocken auffangen würden, von innen und damit optisch nicht sichtbar vor das Mauerwerk zu setzen, den gesamten Turm neu zu verfugen sowie die Schallluken wiederherzustellen.

Lange Zeit brauchte es nun im Hintergrund, um die Finanzierung zu klären, immer wieder neue Gutachten zu analysieren und einzuordnen, Angebote einzuholen sowie schließlich Handwerker zu beauftragen. Und es kam eine weitere Baustelle hinzu. Das in die Jahre gekommene Dach der Kirche musste ebenfalls abgedeckt, umfangreich aufwändig saniert und neu gedeckt werden (an einigen Stellen war bereits Feuchtigkeit durchgesickert, die Statik in den Anbauten war nachzubessern und die Wärmedämmung zu erneuern).

Erster Anhaltspunkt, dass es dem Übel endlich an den Kragen gehen würde, waren zunächst Arbeiten am Turm. Im Frühjahr 2021 schließlich wurden Turm und Kirche eingerüstet. Dann folgte, was gemeinhin Baulärm genannt wird, im Kirchviertel jedoch eher den Charakter einer Auferstehungsmelodie hatte: Das Herausbohren des alten Mörtels und später die Klopfgeräusche der Dachdecker gehörten zu den hörbaren Signalen, dass die Sanierungen jetzt voranschritten.

Einige Monate musste die Kirche für die Bauarbeiten am Dach sogar ganz geschlossen werden. Daher fanden die Gottesdiente den Sommer über in Pastors Garten statt. Eine notwendige, aber auch sehr bereichernde Maßnahme. Bereits im Herbst konnte die Dachsanierung als erste abgeschlossen werden. Am Turm gingen die Arbeiten weiter.

Irgendwann schließlich, mitten im Tag, zu völlig unüblicher Stunde traute das Kirchviertel seinen Ohren nicht: Läuteten da nicht die Glocken? Dann war der Spuk auch schon vorüber. Diese kurzen Hoffnungszeichen wiederholten sich in Abständen. Es machte die Runde, dass es sich um Schwingungsmessungen handelte. Würde der Turm dem Schlagwerk standhalten?

Endlich, nach fast fünf Jahren Stille und zuletzt sieben Monaten Sanierung übernahm das Geläut zum Weihnachtsfest des Jahres 2021 feierlich wieder seinen Dienst. Trotz des eigentlich dunklen Klangs der Gussstahlglocken war sich die Gemeinde nach der langen Zeit des Wartens einig: Süßer die Glocken nie klangen!!!

Über Jahrzehnte waren sie ganz selbstverständlich dreimal täglich sowie zu allen Messen zu hören, läuteten jedes Neujahr ein. Erst mit ihrem langen Verstummen wurde man sich ihres identitätsstiftenden Klangs erneut bewusst. Das Kirchviertel ist wieder „unüberhörbar“!

Text: Bärbel Grothe

 

Provisorische Sicherung des Turms

Bei der Turmsanierung 2021

Der Glockenturm nach der Sanierung 2024

Glockenturm und Dach nach der Sanierung 2024

Glockengeläut

 Hier können Sie hören, wie unsere Glocken klingen:

Und hier das Glockengeläut im Youtube-Video von "stahlglocke":

(Tonaufnahme: Bernd Siegordner, Erlangen)